Julia Wedekind

Psychologin und Systemische Beraterin

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Jenseits von Ursache und Wirkung: Der systemische Blick auf Symptome und besonderes Verhalten

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Familie im Wohnzimmer

Jenseits von Ursache und Wirkung: Der systemische Blick auf Symptome und besonderes Verhalten

Psychische Gesundheit und Verhaltensauffälligkeiten werden leider oft in einem zu simplen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang betrachtet. Hier bietet die systemische Sichtweise eine erfrischend andere Perspektive. Diese Perspektive sieht Symptome nicht als isolierte Probleme, die es zu beseitigen gilt, sondern als Ausdruck komplexer, miteinander verwobener Beziehungsmuster innerhalb eines Systems. Als Psychologin und systemische Beraterin möchte ich Ihnen in diesem Blogartikel meine Sichtweise auf Symptome und besondere Verhaltensweisen näherbringen und erläutern, wie ich den (hypno)systemischen Ansatz verstehe und in meiner Arbeit anwende.

Die Verführung des Ursache-Wirkungs-Denkens

Es ist leicht, in die Falle des Ursache-Wirkungs-Denkens zu tappen. Ein Symptom taucht auf, und die naheliegende Reaktion ist, nach der Ursache zu suchen und diese zu beheben, um das Symptom zu beseitigen. Das funktioniert bei Maschinen wunderbar. Doch dieses lineare Denken entspricht nicht der Realität unseres komplexen inneren, lebendigen Wesens. Die systemische Therapie, wie sie im Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung beschrieben wird, „behandelt nicht in einem einfachen, kausalen instruktiven Sinn Ursachen, sondern hilft lebenden Systemen, Beziehungsmuster zu verändern, um günstigere Randbedingungen für Gesundung und Heilung zu finden“. Aber was bedeutet das konkret?

Symptome als Teil eines Beziehungsgefüges

In der systemischen Therapie betrachten wir Symptome als Teil eines größeren Ganzen, nämlich des Beziehungssystems, in dem ein Mensch lebt. Ein Symptom, wie etwa das schlechte Einschlafen eines Kindes, könnte beispielsweise auf Beziehungsebene eine wichtige Funktion erfüllen. Es könnte dazu beitragen, ein Elternteil abends an sich zu binden, um u.a. ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen oder um elterliche Streitigkeiten zu vermeiden. Diese Dynamiken entstehen in der Regel völlig unbewusst und entwickeln sich aus den inneren Bedürfnissen, Wertemustern und Erfahrungen, die jede Person im Laufe ihres Lebens gemacht hat.

Diese Beziehungsmuster sind nicht statisch; sie unterliegen einem ständigen Wandel, da sich sowohl die äußeren Bedingungen als auch das innere Erleben eines jeden Menschen ständig verändern. Ein scheinbar kleines Ereignis, wie eine Veränderung in den Arbeitszeiten, kann ebenso wie ein größeres Ereignis, etwa die Ankunft eines neuen Familienmitglieds, tiefgreifende Auswirkungen auf das Beziehungssystem haben. Welche Bedeutung eine solche Veränderung für ein System hat, kann man von außen oft nicht beurteilen. Jedes System, jeder Mensch, entscheidet autonom darüber, welche Bedeutung er den Ereignissen in seinem Leben (im Inneren) beimisst. Oder etwas in ihm entscheidet es, könnte man sagen. Diese Beziehungsgefüge gibt es sowohl im Außen zu verschiedenen Menschen, als auch im Inneren eines jeden Menschen. Hier gibt es mehr dazu.

Individuelle Begleitung statt universeller Lösungen

Aus dieser Perspektive heraus ergibt es wenig Sinn, bei beispielsweise Schlafproblemen eines Kindes ausschließlich auf allgemeine Ratschläge zur Schlafhygiene, wie das Vermeiden von Bildschirmzeit oder das Einführen von Routinen, zurückzugreifen. Stattdessen könnte es hilfreicher sein, zu erkunden, wann in dem Familiensystem ein Gefühl von Sicherheit erlebt wird und wie dieses in die Abendstunden integriert werden kann. Es geht dabei nicht darum, jemanden für das Symptom verantwortlich zu machen, sondern darum, die komplexen Beziehungsmuster zu verstehen und positiv zu beeinflussen. Und manchmal bringen Impulse und kleinste Veränderungen an unterschiedlichen Stellen den gewünschten Erfolg. Der Mensch ist eben komplex.

Verantwortung und Einfluss in Beziehungen

Eine zentrale Erkenntnis des systemischen Ansatzes ist, dass jeder Mensch Verantwortung für sein eigenes Verhalten und Erleben sowie für seinen Teil in der Beziehung tragen kann. Zugleich hat man jedoch keine Verantwortung für das Erleben und Verhalten anderer Menschen. Jedes Individuum erzeugt sozusagen sein Erleben und Verhalten autonom von Innen heraus. Dabei ist eine Unterscheidung besonders in der Eltern-Kind-Beziehung wichtig: Eltern haben zunächst die volle Verantwortung für die Beziehung zu ihrem Kind, gleichzeitig kann das Kind mit zunehmendem Alter immer mehr zur Gestaltung dieser Beziehung beitragen. Dennoch bleiben die Eltern dafür verantwortlich, den Rahmen für diese Beziehung zu setzen – etwa wie Konflikte gelöst werden, welcher Umgangston in der Familie genutzt wird, oder wie das Familienleben gestaltet wird.

Symptome als Ausdruck von Schieflagen im Beziehungssystem

Symptome können sich entwickeln, wenn in diesem komplexen Beziehungsgefüge etwas aus dem Gleichgewicht gerät – und das passiert in jeder Familie immer mal wieder. Wichtig ist, zu lernen, wie man konstruktiv mit solchen Schieflagen umgehen kann. Dabei sollte nicht jedes Symptom oder störende Verhalten ausschließlich als Ausdruck eines Beziehungsproblems verstanden werden. Es gibt auch individuelle Unterschiede in Temperament und Persönlichkeit, die berücksichtigt werden müssen. Ein schüchternes Kind, das sich auf einer großen Familienfeier zurückzieht, ist vielleicht kein Zeichen für ein Beziehungsmuster, sondern Ausdruck seines natürlichen Bedürfnisses nach Rückzug. Und dennoch kann das Verhalten Auswirkungen auf der Beziehungsebene haben, wenn der Enkel seinen Opa nicht umarmen möchte oder sich nicht mit der Tante unterhalten will. Dann stellt sich vielmehr die Frage, wie wollen wir als Familie mit den Bedürfnissen und dem Temperament unseres Kindes umgehen? Und wie gehen wir selbst vielleicht mit dem Druck um, den gesellschaftlcihe oder familiäre Normen an uns stellen?

Ein Fazit: Komplexität als Chance

Menschliches Erleben und Verhalten ist komplex – und diese Komplexität verdient es, in ihrer ganzen Tiefe betrachtet und gewürdigt zu werden.

Dies mag manchmal herausfordernd sein, doch es eröffnet auch eine Welt voller Möglichkeiten. Indem wir die Beziehungsdynamiken verstehen und verändern, können wir günstigere Bedingungen für Gesundheit und Heilung schaffen. Und das ist eine der besonderen Stärken des systemischen Ansatzes: Er bietet keine einfachen Lösungen, sondern inspiriert uns dazu, tiefer zu schauen, zu hinterfragen und in unserer eigenen Komplexität zu wachsen.

Ich hoffe, dieser Artikel hat Ihnen neue Perspektiven auf Symptome und besondere Verhaltensweisen eröffnet und Sie dazu angeregt, über die Beziehungen in Ihrem eigenen Leben nachzudenken. Die systemische Sichtweise zeigt, dass es in unserer Macht liegt, diese Beziehungen positiv zu gestalten – und das ist doch eine inspirierende Aussicht, oder?

Wenn Sie selbst auch ein Anliegen haben, das Sie auf diese Weise betrachten möchten, oder Fragen haben, dann melden Sie sich gerne bei mir. Ich freue mich auf ihre Nachricht.

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